Schmerzbilder nach Alphabet

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Schmerzmittelabusus

Synonym von

Klinisches Bild (Symptome):
Paradoxe Reaktion auf Absetzen/Aussetzen von Ergotamin(-tartrat) – Zufuhr (per oral, Suppositorien, ev. nasal oder parenteral). Es treten leicht- bis mittelgradige, meist anhaltende und holocrane, pulsierend-drückende Kopfschmerzen auf. Es kommt zu fakultativ autonomen Begleiterscheinungen, wie Übelkeit, Brechreiz und Erbrechen, allgemeine Schwäche, Erschütterungsempfindlichkeit, Ruhebedürfnis, Licht- und Lärmscheu in sehr wechselnder Ausprägung, - ähnlich einer prolongierten einfachen Migräneattacke. Die Kopf- und Nackenmuskulatur kann schmerzhaft verspannt sein, suboccipitale Nevenaustrittspunkte eventuell dolent. Die Symptome sollen an > 15 Tagen/Monat auftreten. Die Schmerzen treten innerhalb eines Tages nach Elimination der Substanz auf und bessern sich ppt nach neuerlicher Einnahme.
Bei langjährig chronischer Einnahme sind Organschädigungen (u.a. Durchblutungsstörungen, Polyneuro¬pathien, cerebrale Funktionsstörungen, etc.) möglich.

Die Ergotalkaloide sind keine typischen Analgetika. Sie werden seit Jahrzehnten wegen ihrer alpha-adre¬nergen und serotonergen Wirkung in der Akutbehandlung der Migräne verwendet. Sie werden zunehmend von den Triptanen abgelöst, dennoch können sie bei entsprechender Indikation als Ersatzmedikamente eingesetzt werden (nicht gemeinsam mit Triptanen!), insbesondere ist die Rückfallsquote geringer. Eine Langzeitbehandlung mit Ergotaminpräparaten ist nicht zulässig.
Für die Ergotamintatratpräparate beträgt die erlaubte Tagesmaximaldosis 3 mg und die Wochenkumula¬tivdosis 7,5 mg. Bei längerer Überdosierung bzw. chronischem Gebrauch (Ergotamineinnahme an > 10 Tagen pro Monat regelmäßig länger als 3 Monate) entstehen medikamenteninduzierte Kopfschmerzen, die den ursprünglichen Kopfschmerz, demnach meist eine Migräne, imitieren.
Besonders riskant bezüglich Abhängigkeit ist die gleichzeitige Einnahme von anderen Analgetika, insbe¬sondere von Opioiden oder sonstiges erhöhtes Suchtpotential.
– Strukturiertes Interview,
– klinische Symptomatik meist zur Diagnostik ausreichend,
– eventuell zur Unterstützung Laborchemie und Flimmerverschmelzungsfrequenzanalyse (Nachweis der Organizität im Neuropsychologischen Test).
– Chronischer Gebrauch anderer Schmerzmedikamente, Analgetika, Opioide, Triptane, etc.
– Entzündliche Gehirngefäßerkrankungen bzw. andere entzündliche bzw. metabolische Prozesse (chronische Sinusitis, Meningoencephalitiden)
– chronische raumfordernde Prozesse

Die einzig sinnvolle Therapie ist der Entzug der missbräuchlich verwendeten Substanzen bzw. die Entgiftung.

Ambulanter Entzug: Absetzen des abusierten Medikamentes, 2 x 500 mg Naproxen für etwa 1 Woche, langsam ausschleichend, dazu Amitriptylin abends 25-75 mg.

Stationärer Entzug: abusiertes Medikament schlagartig absetzen, Infusionstherapie mit Metamizol oder Acetylsalicylsäure (ASS), soferne kein Abusus mit diesen Substanzen vorgelegen ist, eventuell zusätzlich Antiemetika und bzw. Neuroleptika.
Sollte Angsterkrankung oder Depression vorliegen, muss diese medikamentös bzw. psychotherapeutisch mitbehandelt werden. Thromboseprophylaxe, eventuell Betablocker und Piracetam.

Aufklärung und ambulante Nachsorge wesentlich, Führen eines Kopfschmerzkalenders und neue Basisprophylaxe je nach zugrundeliegendem initialen Kopfschmerz.

Der Kopfschmerz bildet sich innerhalb von 2 Monaten nach Beendigung der Ergotamineinnahme zurück bzw. es entsteht wieder das ursprüngliche KS-Muster.

Zu der medikamentösen Prophylaxe eines Kopfschmerzes bei Medikamentenübergebrauch hat sich Topiramat als primäres Prophylaktikum eingesetzt. Onabotulinumtoxin A führt bei vielen Patienten zu deutlicher Reduktion der Einnahme von Triptanen (Dodick et al 2010, Diener 2010)

Evidenzbasierte Daten für diese Empfehlung existieren nicht!

Psychologische Betreuung ist ein wichtiger Bestandteil der Therapie. Nach dem Abklingen der Entzugssymptomatik haben sich Verhaltenstherapie mit Stressbewältigung, Entspannungsübungen bewährt.

P. Wessely,
Universitätsklinik für Neurologie Wien
Y. Qassab, ZISOP Klinikum Klagenfurt