Schmerztherapie, Schmerztherapeutika

Über den Schmerz

Warum gibt es Schmerzen?

Der Schmerz ist ein Alarmsignal des Körpers. Grundsätzlich signalisiert er als eine Störung des Körpers, die sowohl organischer als auch psychogener Genese sein kann. Kopfschmerzen können durch einen Gehirntumor entstehen - mit dringender Operationsindikation. Sie können ihre Ursache aber auch in chronischen Spannungskopfschmerzen haben - einem Stresssymptom, das signalisieren will: "Halt! Der Mensch arbeitet zuviel und schont sich zu wenig". Ihm "zerspringt der Kopf vor Sorgen", er "hat zuviel um den Kopf". Und dann muss nicht operiert werden, sondern der Patient sollte sich überlegen, was er in seinem Leben ändern könnte. So gesehen schützt der Schmerz. Wenn es den Schmerz nicht gäbe, würden viele Störungen nicht erkannt werden und die Menschen schon früh - als Kinder - sterben.

Auch den Ärzten gibt der Schmerz wichtige Signale und Hinweise. Wenn die Signale allerdings verstanden wurden, sollte der Schmerz zügig gelindert werden - die wissenschaftliche Forschung hat dafür eindrucksvolle Beweise geliefert.

Akute und chronische Schmerzen

Generell wird zwischen akuten und chronischen Schmerzen unterschieden. Akute Schmerzen haben den oben beschriebenen Signalcharakter mit akutem Handlungsbedarf. Häufig löst der akute Schmerz reflexartige Reaktionen aus, die dem Schutz des Körpers dienen, wie z. B. das Wegziehen des Fußes beim Tritt in eine Glasscherbe. Die Ursache akuter Schmerzen wird in den meisten Fällen schnell gefunden, kann gut behandelt werden und stellt deshalb - trotz aller Verbesserungsoptionen - kein sehr großes Problem für die Schmerztherapie dar.

Anders ist es, wenn akute Schmerzen chronifizieren. Chronische Schmerzen sind Schmerzen, die länger als 3-6 Monate bestehen oder immer wieder kommen. Sie haben den akuten Alarmcharakter verloren. Chronische Schmerzen deuten auf eine chronische Erkrankung, auf degenerative Abnützungserscheinungen, eine Schmerzkrankheit oder Störungen hin, an denen die Psyche und der Lebensstil beteiligt sind. Hier ist die Behandlung oft schwierig und viele Menschen müssen lange leiden, bis sie eine ausreichende Schmerzlinderung erfahren.

Das Schmerzgeschehen

Grundsätzlich können Schmerzen durch verschiedene Auslöser entstehen: Mechanische Reize (z. B. eine Stichverletzung), thermische Reize (Hitze/Kälte), Entzündungen und die Veränderung des Säuregrads des Gewebes. Es gibt eine Klassifikation in nozizeptive Schmerzen (somatische und viszerale durch Reizung einer peripheren Nervenendigung), neuropathische Schmerzen (Läsion oder Funktionsstörung eines peripheren Nerven oder des ZNS) und psychogene Schmerzen.

Schmerzen sollen das Gehirn darüber informieren, dass irgendwo im Körper eine Störung vorliegt. Das Bewusstsein muss erkennen woher der Schmerz kommt und ob Möglichkeiten zur Beseitigung der Schmerzen existieren. Um diesen Informationsfluss zu gewährleisten, verfügt der Körper über ein ausgeklügeltes Informationssystem, das in vereinfachten Grundzügen dargestellt werden soll:

Bei jedem schmerzhaften Ereignis/jeder Gewebeschädigung werden algogene Substanzen (z. B. K+ Ionen, Bradykinin, H+ Ionen) freigesetzt oder gebildet (Prostaglandin E2), die die Nozizeptoren erregen. Die nozizeptiven Afferenzen setzen daraufhin Neuropeptide (wie z. B. Substanz P und CGRP) frei. Dies verursacht eine Vasodilatation mit folgendem "neurogenen Ödem" und der weiteren Freisetzung von Bradykinin, Histamin und Serotonin - wodurch sich das Schmerzgeschehen immer weiter selbst unterhält und ausbreitet. Die Schmerzreize werden über die schnellen A-delta-Fasern (heller Sofortschmerz; ca. 30 m/s) und die langsamen C-Fasern (dumpfer Zweitschmerz; ca. 1 m/s) aus der Peripherie zum Rückenmark geleitet. Nur wenn der Reiz eine gewisse Schwelle (die sog. Schmerzschwelle) überschreitet, wird er an das zentrale Nervensystem weitergeleitet. Die Erregung wird im Rückenmark (meist im Hinterhorn) umgeschaltet und weiter in das Gehirn transportiert. Außerdem existieren im Rückenmark Schaltkreise, die reflexartige Reaktionen auf den Schmerz veranlassen können, wie das automatische Wegziehen des Fußes beim Tritt in eine Glasscherbe. Der nozizeptive Einstrom aus der Peripherie setzt im Rückenmark Neurotransmitter (z. B. L- Glutamat, Substanz P, CGRP) frei. Gleichzeitig verfügt der Körper aber auch über schmerzhemmende Mechanismen. Neurotransmitter, wie z. B. Endorphine, GABA, Serotonin und Noradrenalin, hemmen die Erregungsleitung. Impulse der A-beta-Fasern (Berührung und Druck) behindern die Weiterleitung von Schmerzimpulsen im Rückenmark (das ist z. B. die Erklärung dafür, warum das Reiben der Haut über einem schmerzhaften Areal, den Schmerz lindert). Durch die Bindung der erregenden Neurotransmitter an die Erfolgszelle kommt es zu einem intrazellulären Calcium-Einstrom, wobei besonders der NMDA-Rezeptor sehr durchlässig für Ca2+-lonen wird. Dies führt u. a. zu Genexpressionen (c-fos und c-jun) mit einer folgenden gesteigerten Sensibilität der Zelle. Erst im Gehirn wird der Schmerz vom Bewusstsein wahrgenommen. Es erfolgt die Wahrnehmung wo es schmerzt, wie der Schmerz ist, ob der Schmerz bekannt ist und wie bedrohlich er ist. Verbindungen zum limbischen System bewirken eine affektiv-emotionale Reaktion und zur Hypophyse eine endokrine Reaktion sowie das Ausschütten der Endorphine. Neben dem Körpererleben haben die Gefühle einen starken Einfluss darauf, wie stark Schmerzen empfunden werden. Angst, Einsamkeit, Dunkelheit (nachts werden die Schmerzen meist stärker empfunden als tagsüber), Verzweiflung und Ohnmacht verstärken die Schmerzen. Erhält der Mensch das Gefühl, dass die Schmerzen nicht lebensbedrohlich sind, dass er sich sicher und geborgen fühlen kann, werden ihm Hilfe, Anteilnahme und menschliche Wärme zuteil, werden die Schmerzen als deutlich weniger stark empfunden.

Jede dieser, am Schmerzgeschehen beteiligten Strukturen, kann von speziellen Schmerzmitteln oder Therapien gezielt in ihrer Funktion blockiert werden:

  • Viele Schmerzmittel (NSAR) verhindern die Bildung, Freisetzung oder Wirkung bestimmter algogener Substanzen und Neurotransmitter - als Folge wird die periphere Sensibilisierung vermindert.
  • Gewisse Medikamente (trizyklische Antidepressiva) erhöhen schmerzhemmende Neurotransmitter.
  • Lokalanästhetika hemmen die Weiterleitung der Erregung im Nerv - somit wird eine abnorme Erregbarkeit der Nerven verhindert.
  • Rückenmarksnahe Verfahren (Spinal- oder Periduralanästhesie) blockieren die Informationsübertragung vom Rückenmark zum Gehirn.
  • Opioide bewirken u.a., dass der Schmerz im Gehirn nicht wahrgenommen wird - was zur Vermeidung einer zentralen Sensibilisierung führt. Werden Opioide vor einer Traumatisierung appliziert, erfolgen nur minimale zelluläre Veränderungen. In entzündeten Geweben vermehren sich die Opiatrezeptoren.
  • Psychologische Verfahren, Entspannungstechniken u.a. beeinflussen das Gefühl und die Bewertung der Schmerzen - auch dies verhindert die zentrale Sensibilisierung.

Je länger die Schmerzen bestehen, desto schwieriger wird es, sie wirkungsvoll zu behandeln. Man weiß heute, dass im Nervensystem gravierende Veränderungen vor sich gehen. Durch chronische Schmerzen werden die Nozizeptoren sensibilisiert und reagieren schon bei Schmerzen, die ein Gesunder nicht merkt. Die Schmerzschwelle wird gesenkt. Die Rezeptoren verlieren ihren schützenden Magnesiumblock, so dass schon das Ruhepotential zu einer Erregung führen kann. Es entstehen ektope Impulszentren und eine zunehmende Spontanaktivität. Die Nervensprossen, es werden vermehrt Nozizeptoren und Transmitter gebildet, die zur Schmerzübertragung dienen. Nervenfasern, die normalerweise keine "Schmerzfasern" sind (A-beta-fasern), verändern ihre Funktion und beginnen schmerzhafte Ereignisse zu leiten. "Schlafende" Nerven wachen auf. Durch die Veränderung der DNS, der am Schmerzgeschehen beteiligten Nervenzellen, wird es immer schwieriger die schmerzverstärkenden Prozesse rückgängig zu machen. Im Rückenmark und im Gehirn weiten sich die Gebiete aus, die auf Schmerzwahrnehmung spezialisiert sind. So entsteht ein Schmerzgedächtnis, d. h. in allen am Schmerzgeschehen beteiligten Strukturen wird die Erinnerung an die Schmerzen gespeichert.

Das ganze Nervensystem verändert sich und stellt sich auf Schmerz ein.

Es entsteht eine sog. Hyperalgesie, d.h. dass normal unterschwellige Schmerzreize die Nozizeptoren erregen. Der Körper wird immer schmerzempfindlicher und sogar sanfte Berührungen können als Schmerz empfunden werden. Dieses Phänomen, dass normalerweise nicht schmerzhafte Reize als Schmerz wahrgenommen werden, nennt man Allodynie.

Wegen dieser massiven Veränderungen ist es so wichtig, dass Schmerzen zügig gelindert werden. Je länger jemand Schmerzen geduldig erträgt oder je länger seine Schmerzen nicht ausreichend therapiert werden, desto größer ist die Gefahr immer schmerzempfindlicher zu werden und eine chronische Schmerzkrankheit zu entwickeln.

Autorin

Dr. Angelika Böhme
Fachärztin für Anästhesiologie und Intensivmedizin,
Algesiologin, Graz (Institut für Psychosomatik u. Verhaltenstherapie),
München (KH-Harlaching)